Samstag, 6. Juni 2009

Ein Krankenhaus aus der falschen Perspektive

10.Mai 2009: Seit Jahren gehe ich beinahe täglich ins Krankenhaus. Aus Überzeugung, weil mich das Studium fasziniert hat und weil es jetzt mein Beruf noch viel mehr tut.
Diesmal ist aber etwas verkehrt. Ich werde nach einigen Daten und Telefonnummern gefragt, muß unterschreiben, bekomme Thrombosestrümpfe angemessen - und finde mich plötzlich auf der falschen Seite des Klinikalltags wieder. Nach der Achterbahn der Gefühle der letzten Tage, Angst, Verzweiflung, Sorge, Schmerz, aber auch Freude, Spaß und Geborgenheit,alles in raschem Wechsel, überwiegt nach der Krankenhausaufnahme die Zuversicht. In wenigen Stunden bin ich diesen Tumor los. Dann ist er WEG, kann erst mal keinen weiteren Schaden mehr anrichten. Die Schlaftablette lege ich um 22Uhr aufs Nachtkästchen, drehe mich um und schlafe bis zum nächsten Morgen.
11.Mai 2009: Ich strahle. Nicht vor Freude, nein, radioaktiv. Zumindest 4 meiner Lymphknoten in der rechten Achselhöhle tun das, nachdem sie mit einem radioaktiven Medikament markiert wurden. In weniger als 1 Stunde muß ich mich von ihnen trennen, sie sollen Aufschluss darüber geben, ob sich schon bösartige Zellen in das Lymphsystem ausgebreitet haben. Dann geht es mal wieder sehr schnell. Beruhigungspille, Thrombosestrümpfe und OP-Hemdchen an, schnell aufs WC und ab ins Bett, ab in den OP. Die Beruhigungspille hätte vielleicht noch etwas mehr Zeit gebraucht, ich habe Dinge gesehen und mitbekommen, von denen ich eigentlich nichts wissen wollte. Wie man eine Narkose einleitet wusste ich auch schon vorher, aber ich habe sogar die ersten Atemzüge Narkosegas noch bewusst eingeatmet, erst dann kam der Filmriss. Gegen 13 Uhr wurde ich wieder wach. Mein Busen war noch da, eindeutig. Aua. Ich bekam ein Schmerzmedikament, das mich gleich wieder ins Träumeland schickte. Kurz darauf fand ich mich in meinem Zimmer auf der Gyn-Station wieder. Nach einiger Zeit die ersten Telefonate. Mir geht es gut, leichte Schmerzen aber alles ok. Später kam die Chefarztvisite. Die Op ging gut, es konnte brusterhaltend operiert und der Tumor großzügig entfernt werden. Alle Lymphknoten waren tumorfrei. Ich bin glücklich. Noch am selben Nachmitag darf und kann ich wieder aufstehen. Abends kommt der erste Besuch. Nachts gibt es dann doch noch stärkere Schmerzen, die sich aber mit Novamin bekämpfen lassen.
Dienstag Vormittag spaziere ich 3 Runden über die Station und am Nachmittag gleich bis vors Haus.
Mittwoch steht die Skelettszintigrafie am Programm. Ich strahle wieder, von innen heraus. Schon wieder radioaktiv. Die Injektion der Radioaktivität gestaltet sich als ein besonderes Spektakel. Dann der Verbandswechsel. Unter normalen Umständen sind Verbandswechsel, wie überhaupt alles, was mit Wundmanagement zu tun hat, mein Thema. Aber kaum gehts ans eigene Fell... Wie oft hatte ich schon eine Lasche in einer Wunde platziert oder wieder entfernt, ehrlich, ich habe nicht mitgezählt. Diese eine, die in meiner rechten Brust, hätte mich beinahe zum Kollabieren gebracht. Wie viele Redons habe ich schon gezogen, keine Ahnung. Tief einamen - und mit einem lauten Schrei wieder ausatmen. Himmel, das tat weh. Aber es ist weg. Nach einer schier endlosen Minute oder zwei ging dann auch der Schmerz und kam zumindest Tagsüber nicht mehr wieder. Später erfolgte dann die eigentliche Szintigrafie. Vom vielen Laufen der letzten Wochen zickte mein Schienbeinkantensyndrom. Das konnte man in der Szintigrafie natürlich deutlich erkennen und sorgte dann auch für die entsprechende Aufregung unter den MTAs. Aber schlußendlich war alles in bester Ordnung. Wieder eine Sorge weniger.
Am Donnerstag lerne ich vor allem eines: Warten. Auf den Sozialdienst, auf die Physiotherapie, auf den Psychoonkologen, auf das Thoraxröntgen. Ich lerne auch, dass Angst in meiner Situation normal ist, zumindest für Psychoonkologen. Und dass die Schreckstarre, in der sich mein Geist seit über einer Woche befindet, mein Schutzmechanismus ist. Echt? Hätte ich kaum geglaubt;-)Und ich lerne, wie sich Dysästhesien anfühlen, was eine Sensibilitätsstörung ist. Ich kann in meiner rechten Achsel das Pflaster entfernen. Normalerweise müsste das an allen dort vorhandenen Haaren ziehen und zerren. Ich spüre das aber nicht oder nur minimal. Dafür spielen diverse sensible Nerven dieser Region verrückt, bevorzugt nachts. Aua. Meine Bezugsschwester ist die Nachtschwester, ich bin ein nächtlicher Novamin-Junkie.
Freitags: Oberarztvisite um kurz vor 7 Uhr morgens. Ich schlafe noch, viele Fragen fallen mir nicht ein. Ich bekomme einen Termin zur Kontrolluntersuchung beim Chefarzt und gehe nach Hause.

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